25. August 2016
Den Workshop zum Thema „Kommune und Anarchismus“ hielt ich zum ersten Mal beim Los Geht’s 2015 auf dem Olgashof in Mecklenburg-Vorpommern. 250 Kommune-Interessierte und 50 Unterstützer*innen trafen sich dort, um sich über Projekte zu informieren, Leute kennenzulernen oder selbst Kommunen zu gründen. In etwas anderer Form wiederholte ich den Workshop im August 2016 beim Anarchistischen Sommercamp in Österreich. Wieder mit einer ähnlichen Fragestellung: Was können die Kommune- und die anarchistische Bewegung voneinander lernen?
Gemeinsamkeiten und Schnittstellen
Ich selbst bin Kommunarde in einer politischen Kommune des Kommuja-Netzwerks, der Villa Locomuna, sowie organisierter Anarchist. Der folgende Workshop soll nicht nur auf die Gemeinsamkeiten der beiden Themenfelder hinweisen, sondern auch mögliche Schnittstellen erarbeiten, Hemmungen abbauen und Bewusstsein schaffen. Mich führte die Beschäftigung mit dem Thema Anarchismus und die Praxis in anarchischen und explizit anarchistischen Gruppen zu der Konsequenz, auch mein Wohn- und Lebensverhältnis nach diesen Idealen zu gestalten. Wie auch mein Veganismus, Verzicht auf Flugreisen und eine Orientierung an nachhaltigem, ökologischem, regionalem und saisonalem Konsum, ist dies Ausdruck eines Versuchs, die Utopie bereits im Hier und Jetzt zu leben. Die Elemente der Utopie, die bereits jetzt unter zumutbaren und realistischen Anforderungen umzusetzen sind, setze ich auch gerne um. Dies hat vielerlei Gründe, unter anderem den Beweis der Machbarkeit, die Vermeidung des Vorwurfs der Heuchelei, aber auch des Gewinns an Lebensqualität, das Sammeln praktischer Erfahrungen und wichtiger Kompetenzen und nicht zuletzt Gewinnung wichtiger Rückschlüsse auf die Theorie und Utopie.
Bei einem Brainstorming konnten die Teilnehmer*innen ihr Vorwissen über Kommunen und Anarchismus sammeln. Auf dem Los Geht’s erfahren die Teilnehmer*innen in vier Basisworkshops Wissenswertes zu den vier Themenschwerpunkten Konsens, Kommune & Politik, Gemeinsame Öknomomie sowie Kommunikation & Soziales. Überraschenderweise waren auch die Antworten zum Begriff Anarchismus sehr ergiebig.
Viele Kommunen sind anarchisch
Als Kernthese stellte ich die Behauptung auf, dass gemäß der oben stehenden Definitionen wundersamerweise die meisten Kommunen des Kommuja-Netzwerks in ihren Grundzügen anarchisch sind, jedoch die wenigsten explizit anarchistisch. Für beide Bewegungen kann dies wichtige Rückschlüsse bieten. Für die Kommune-Bewegung könnte die bereits jetzt gelebte Utopie einer ihr selbst wenig bekannten Utopie mehr inhaltliche Tiefe und breite Aufstellung bieten. Der anarchistischen Bewegung könnten durchaus viel mehr anarchische Projekte gewahr werden, sowie generell die Tatsache, dass ihre Ideen und Theorien bereits in Teilen gelebte Praxis sind, ohne jedoch dabei eine Rolle gespielt zu haben und ohne eine starke Vernetzung und Austausch zu realisieren. Denn es ist auf jeden Fall festzustellen, dass trotz aller gemeinsamen Überzeugungen und Praktiken, es nicht nur keine Vernetzung und keinen Austausch, sondern nicht einmal ein gegenseitiges Gewahrwerden stattfindet. Im zweiten Teil des Workshops sollen diese Aspekte durch eine moderierte Diskussion anhand von drei Diskussionsfragen näher beleuchtet werden.
Vorab sollte aber nicht nur geklärt werden was Anarchismus ist, sondern auch was es nicht ist. Dies konnte anhand der vormals genannten Begriffe „Chaos“, „Gewalt“ und „Schwarzer Block“ erläutert werden:
Anarchie ist nicht Chaos
denn Anarchie ist Ordnung ohne Herrschaft. Das bedeutet, dass auch in der Anarchie Regeln gelten, aber selbst gewählte Regeln in freier Vereinbarung unter Gleichen, an Stelle von starren Gesetzen, durchgesetzt mit Zwang.
Die Bestandteile Selbstorganisation und Autonomie zeigen auch heute schon, dass Anarchie nicht chaotisch ist, als Beispiel wurde hier verwiesen auf die Praxis in der Kommune Villa Locomuna, in Form von Patenschaften für alle regelmäßig anfallenden Aufgaben, den Kochplan, das Plenum der Wirtschaftsgemeinschaft, inklusive Zeitökonomie, uvm.
Anarchismus ist nicht Gewalt
denn es gilt im Anarchismus dass zu jeder Zeit die Anwesenheit des Ziels in den Mitteln gewahrt bleiben soll. Des Weiteren ist spätestens seit dem Widerstand von Anarchist*innen gegen den ersten Weltkrieg der Antimilitarismus ein wichtiges Element von Anarchismus.
Jedoch gilt für viele Anarchist*innen auch, dass Selbstverteidung und Notwehr legitim sind, genauso wie Widerstand gegen Unterdrückung, wenn friedliche Mitteln versagen. Zu guter Letzt gibt es auch die Strömung Anarchopazifismus, symbolisiert durch die schwarz-weiße Fahne.
„Der Schwarze Block“ ist nicht Anarchismus
denn der so genannte Schwarze Block ist lediglich eine Demonstrationstaktik diverser Gruppen und Bewegungen (links wie rechts), mit den Zielen: Schutz des Individuums vor Repression sowie Schutz von direkten und militanten Aktionen.
Aber oft ist komplett schwarze Kleidung, teilweise auch Vermummung, „normales Auftreten“ vieler Anarchist*innen auf Demos u.ä., teils aufgrund eines „autonomen Habitus“ oder schlichtweg „Szene-Mode“. Des Weiteren dient dies auch der Abgrenzung vom Bürgertum und dem Ausdruck der Ablehnung desselben. Dadurch steht sich die Bewegung jedoch auch beizeiten selbst im Weg einer Verbreitung und Vergrößerung, stattdessen verbleibt sie klassisch in der jugendlich-linkslibertären Szene. Hier operiert die Bewegung jedoch auch in einem Spannungsfeld von Kompromisslosigkeit versus Dialogbereitschaft. Die konsequente Kompromisslosigkeit ist wichtig, um die eigenen Ideale nicht verwässert zu sehen, sollte aber nicht zu einer fehlenden Dialogbereitschaft mit anderen gesellschaftlichen Akteuren führen.
Die Verknüpfung der beiden Themenfelder Kommune und Anarchismus sollte in der zweiten Hälfte druch eine moderierte Diskussion erzielt werden. Die Teilnehmer*innen nutzten trotz fallenden Temperaturen im Schatten und aufkommenden Windes die verbleibenden 45 Minuten sehr rege.
1. Was könnte die Kommune-Bewegung aus der Beschäftigung mit dem Anarchismus für die Kommune-Praxis mitnhemen? Wo seht ihr mögliche Anknüpfungspunkte?
Die Teilnehmer*innen identifizierten einige Aspekte sowohl für die externe als auch die interne Kommune-Praxis, die mit der Beschäftigung mit Anarchismus einfließen könnten. Auf der Ebene der externen Praxis zum Beispiel einen Ausbau der politischen Praxis und der Gesellschaftsveränderung, sowie eine kohärentere Utopie und politische Wirkung. Die meisten Aspekte die genannt wurden zielten aber eher auf die interne Praxis der Kommune-Bewegung. Auch wenn die meisten Kommunen herrschaftskritisch und hierarchiekritisch sind und ihre Strukturen dieses auch versuchen zu vermeiden, könnte ein konsequenter Anarchismus auch helfen, sogenannte informalle Hierarchien abzubauen sowie Herrschaftsfreiheit konsequenter zu leben. Es wurden auch strukturelle Hierarchien auf die Gesamtgesellschaft identifiziert, die abzubauen wären. Diese wurden durch weitere Wortbeiträge ausdifferenziert in den Wunsch nach dem Abbau von Zugangsbarrieren sowie der Reflexion der eigenen Privilegien und dem Teilen derselben.
So bietet das Konzept der Critical Whiteness, des kritischen Weißseins, Anhaltspunkte für den Umgang mit den eigenen rassistischen Privilegien, die auch für die Kommune-Bewegung von großem Belang sein können. Denn ein weiterer Teilnehmer und Mitkommunarde identizifierte die Kommune-Bewegung als „elitären Haufen“ – Bildungsniveau, Herkunft und Einkommen sind relativ homogen und quasi-elitär. Jedoch sind eben diese Orte auch Schutzräume, vor den Unsicherheiten des kapitalistischen Systems wie dem Wohnungsmarkt, und sie sind Orte der (Selbst-)ermächtigung, denn Aktivismus in Hineinwirken in die Gesellschaft werden erst ermöglicht durch die eigene Absicherung und Lebensqualität, physisch ebenso wie sozial. Letztlich kann jedoch festgehalten werden, dass sowohl die Ideen der Kommune-Bewegung als auch des Anarchismus den Anspruch der Allgemeingültigkeit und Massentauglichkeit haben. Zwar kann eine „Reinheit“ und vollständige Umsetzung der Utopie im herrschenden System sicher nicht erreicht werden, aber die Öffnung für eine breitere und diversere Öffentlichkeit würde auch diese Tauglichkeit auf die notwendige Probe stellen und Rückschlüsse für beide Bewegungen und Utopien bieten. Zudem muss die Öffnung nicht zwangsläufig Hindernis sondern bedeuten, sondern eher als Bereicherung wahrgenommen werden, sei es durch Menschen mit Behinderungen, Menschen aus anderen Kulturkreisen wie z.B. Geflüchtete, oder Menschen, die aufgrund ihres Genders diskrimiert werden.
2. Warum sind viele anarchisch strukturierte Projekte nicht mit den Ideen des Anarchismus vertraut?
Die Gründe hierfür verordneteten die Teilnehmer*innen größtenteils an zwei verschiedenen Orten: dem propagierten Bild von Außen und geschichtlichen oder strategischen Faktoren innerhalb der Bewegung. So war die allererste Assoziation das schlechte Bild, welches durch sowohl bürgerliche Mainstream-Presse als auch alteingessese linke Medien verbreitet wird, quasi ein Angriff von zwei Seiten. So ist es aber auch der Sprachgebrauch, die die Ideen fortwährend im falschen Licht darstellt, wie zum Beispiel bei der Berichterstattung aus Krisengebieten, mit der Aussage dass dort „die Anarchie herrsche“, eine auf gleich mehreren Ebenen irreführende Aussage.
Doch auch die Bewegung selbst hat dies in Teilen selbst verschuldet. So ist es nicht nur die – eigentlich recht kurze und unbedeutende Phase – der „Propaganda der Tat“ (einer blutigen Epoche von Bombenattentaten auf staatliche Repräsentant*innen durch anarchistische Attentäter*innen in Frankreich, nach der Zerschlagung der Pariser Kommune) sondern auch schlichtere Dinge wie mangelnde Jugendarbeit, warf ein Teilnehmer ein. Ein weiteres Problem stellt die Gefahr der Schaffung von Insellösungen dar, das Bilden kleiner anarchischer Kreise und Projekte und ein „Wohlfühlaktivismus“ bieten die Gefahr einer reduzierten Außenwirkung und selektiver Wahrnehmung.
Die momenane Schwäche der Idee im deutschsprachigen Raum ist auch eben genau dies: Ein regionales Problem des deutschsprachigen Raumes, in vielen anderen Ländern gibt es große, selbstbewusste und explizite anarchistische Bewegungen, wie zum Beispiel in Spanien oder Griechenland.
3. Aus welchen Zusammenhängen kommt ihr, und hat sich euer Bild von „Anarchismus“ oder von „Kommune“ jetzt in einer Form verändert?
Die Teilnehmer*innen setzten sich größtenteils aus Menschen zusammen, die noch wenig Erfahrung mit der Kommune-Bewegung hatten, viele wohnen jedoch in WGs, Hausprojekten oder Gründungsgruppen, die noch ganz am Anfang stehen. Sie fühlten sich durchweg als herrschaftskritisch und anarchistisch, ohne jedoch eigenen Aussagen nach sich umfassend mit der Theorie beschäftigt zu haben. Nur wenige Teilnehmer*innen veränderten ihr Bild von Anarchismus und/oder von Kommune, da die meisten auf beide Themen schon sehr realitätsnahe Konzepte besaßen. Das Feedback zum Workshop viel durchweg positiv aus, viele freuten sich dass ihnen der Begriff Anarchismus auf dem Los Geht’s begegnete und möchten die Verbindung der beiden Themen nun auch in ihr eigenes Umfeld hineintragen. So gut wie alle ausliegenden Broschüren, wie die Einführungsbroschüre des A-Netz SüdWest, eine Ausgabe der Gai Dao oder das Manifest Alles Verändern wurden mitgenommen.
Marius (Villa Locomuna), zuerst veröffenticht auf @Revotweets.